American Dream und Identität

14.02.2022

Anlässlich unseres Mottos „Genre: World“ habe ich einen jungen US-Amerikaner interviewt und mit ihm über die verschiedensten Themen gesprochen. Dabei habe ich ihn manches über den amerikanischen Traum und das Thema Identität gefragt. Das Interview ist frei aus dem Englischen übersetzt.

Hi! Könntest du dich kurz unseren Lesern vorstellen?

Hallo zusammen! Ich bin Vince, ich bin ein in Amerika geborener Philippine.

Lass uns mit dem amerikanischen Traum/„American Dream“ anfangen. Jeder hat ja seine eigene Definition dafür. Was ist deine Definition?

In unserer Unabhängigkeitserklärung, die von den Gründungsvätern geschrieben wurde, haben wir diese unabdingbaren Rechte, wir nennen sie auch die natürlichen Rechte. Diese sind Leben, Freiheit und das Streben nach Glück. Und genau das ist der amerikanische Traum für mich: Das Streben nach Glück. Die Freiheit zu haben, allen seinen Herzenswünschen nachzugehen, und die Hoffnung, dass sie in Erfüllung gehen.

In Deutschland gibt es keinen richtigen Nationalstolz. Würdest du sagen, dass dieser etwas Wichtiges für dich oder die Vereinigten Staaten ist?

Für Amerikaner zu 100 Prozent! In meiner Schule wird z.B. mittags immer der Treueschwur gesagt, um unserem Land im Grunde Respekt zu zollen. Und das Militär ist ein riesiger Teil der Vereinigten Staaten, wir geben viel Geld unseres nationalen Haushalts dafür aus. Außerdem haben wir Ferientage wie den „veterans day“ oder den „memorial day“, um die Männer und Frauen zu ehren, die in der Armee gedient haben.

Bei uns hängt keine Flagge am Schulgebäude und generell haben wir diese nationale Komponente im Alltagsleben nicht so sehr. Ich denke, dass das in Amerika total anders ist. Würdest du sagen, dass das etwas Gutes ist?

Ich denke, es ist etwas Gutes, aber manchmal übertreiben es die Leute auch. Wenn zum Beispiel jemand etwas sagt, dem ein anderer nicht zustimmt, wird gesagt, dass man unamerikanisch ist. Ich bin der Meinung, dass das viel zu extrem ist. Größtenteils denke ich aber, dass es, abgesehen davon, etwas Gutes ist.

Würdest du sagen, dass es wichtig ist, wo man geboren ist oder dass man die amerikanische Staatsbürgerschaft braucht, um amerikanisch zu sein? Oder geht es mehr um die Werte, die du gerade erwähnt hast?

Meiner Meinung und auch derer vieler meiner Freunde nach ist das Leben unter unserer Flagge und die Akzeptanz dieser Werte das, was jemand zu einem Amerikaner macht. Es spielt keine Rolle, wo man geboren wurde, denn Amerika ist eine Art Schmelztiegel verschiedener Kulturen und Identitäten. Ich denke also, hier zu sein, hier zu leben und zu akzeptieren, was es bedeutet, Amerikaner zu sein, macht jemanden zu einem solchen.

Glaubst du, dass Amerika etwas Besonderes hat? Vielleicht genau das?

Was ist das Besondere an Amerika? Auf jeden Fall die ganze Vielfalt der Kulturen und die Akzeptanz von Menschen aus aller Welt. Das ist es, was Amerika nicht so langweilig macht – das würde ich andernfalls denken. Wenn alle Menschen gleich wären, würde ich mich langweilen und in andere Städte gehen und so.

Gibt es etwas, das du noch über den amerikanischen Traum sagen möchtest? Irgendetwas, das wichtig ist?

Bei dem, was ich gleich sagen werde, geht es eigentlich um politische und kulturelle Unterschiede, denn Amerika hat eine Willkommenskultur. Es gibt hier einen Haufen verschiedener Kulturen. Es gibt aber auch eine Menge Leute, die immer noch rassistisch und fremdenfeindlich sind. Einige machen darauf aufmerksam - zum Beispiel die "Black Lives Matter"-Bewegung im Jahr 2020, nachdem ein Schwarzer von einem Polizist getötet wurde. Und seit Corona hier in den Vereinigten Staaten im Umlauf ist, gab es viele Verbrechen gegen Asiaten. Ich denke, in einigen Bereichen gibt es einfach einen Mangel an Bildung oder einfach einen Mangel an Empathie.

Du glaubst also, dass das Land in diesem Punkt Fortschritte machen kann?

Ja, wir können uns bei diesen Themen definitiv verbessern. Wir haben so viele verschiedene Menschen aus der ganzen Welt, manche Leute mögen das nicht. Und ich weiß nicht, warum.

Lass uns jetzt über die Perspektive sprechen, die du von Amerika aus auf die Welt hast. Amerika ist das mächtigste Land der Welt –wie siehst du die Dinge aus der amerikanischen Perspektive?

Die amerikanische Perspektive ist, dass Orte in der ganzen Welt, die nicht in den USA sind, von vielen Menschen als exotisch angesehen werden. Zum Beispiel asiatisches Essen und Kultur oder europäisches Essen und Kultur – viele Leute halten das für exotisch. Aber ich denke, das ist verständlich, wenn man bedenkt, dass unsere beliebteste Essenskette McDonald's ist. Ich weiß, dass uns so viele Leute von außerhalb der USA sehen: Nur einen Haufen fetter, weißer Menschen, die bei McDonald's essen. Aber ich denke, es macht deswegen Sinn, da unsere Fettleibigkeitsrate ziemlich hoch ist. Aber meine persönliche Sicht auf die Länder der Welt ist, dass sie alle super cool und interessant sind. Vielleicht weil wir in den USA, obwohl wir einige dieser Kulturen und ethnische Gemeinschaften haben, nicht so viel davon mitbekommen, weil sie nicht wirklich bevölkerte Orte sind. Was ich meine, ist, dass sie irgendwie schwer zu finden sind. Beispiele sind Chinatown in San Francisco und Chinatown in New York. Ich glaube, es gibt ein Little Tokio in Los Angeles, aber ich kenne keine speziellen europäischen oder hispanischen Gemeinschaften und Orte, an denen ich gewesen bin.

Bekommst du viel von europäischer oder deutscher Politik zu hören?

Wir lernen nicht wirklich viel über andere Länder, außer im Geschichtsunterricht. Wir beschäftigen uns dann mit technologischen Fortschritten, der Entwicklung von Ideen und so weiter. Unterricht gibt es über die Geschichte der Vereinigten Staaten, die Weltgeschichte und, wenn man will, auch über die europäische Geschichte, aber sonst gibt es nicht allzu viel.

Amerika ist das mächtigste Land der Welt. Wie fühlt es sich an, in diesem Land zu leben?

Es hat definitiv seine Probleme, aber es gibt eine Menge Dinge, die ich an Amerika liebe. Ein Teil davon ist die kulturelle und ethnische Vielfalt in Amerika. Ich treffe so viele verschiedene Arten von Menschen. Und worüber ich vorhin nachgedacht habe, als du erwähnt hast, dass wir so ziemlich in der ganzen Welt bekannt sind: Ich habe das Gefühl, dass ein Haufen Leute aus anderen Ländern einfach denken, dass alle Amerikaner Idioten sind. Ehrlich gesagt denke ich, dass das irgendwie verständlich ist, wenn ich nur daran denke, was in der Öffentlichkeit gesagt wird…

Du kannst also verstehen, dass manche Leute nicht das beste Bild von den Vereinigten Staaten haben?

Ja, schon.

Lass uns noch einmal über die Vorurteile anderer Länder über Amerika sprechen. Du hast gerade den fetten weißen Mann erwähnt, der immer zu McDonald's geht, aber vielleicht auch davon abgesehen?

Abgesehen davon denke ich, dass viele Leute, wenn sie an Amerika denken, an Geschäftsleute denken, an Geschäftsführer, an politische Führer und an die Industrie.

Hier in Deutschland reden wir viel über Covid, Russland, die Ukraine und die USA. Worüber wird in Amerika geredet?

Nun, in meinem Politikunterricht bringt mein Lehrer gerne Ereignisse aus der ganzen Welt ein. Wir haben also über die Ukraine und Russland gesprochen, über die Spannungen zwischen den beiden Ländern und darüber, was die Vereinten Nationen und die USA tun, um die Ukraine zu unterstützen. Das ist so ziemlich alles, woran ich mich erinnern kann. Aber über Corona sprechen wir so gut wie jeden Tag.

Als eine finale Frage: Was wird deiner Meinung nach mit Amerika in der Zukunft passieren oder wie willst du, dass Amerika in der Zukunft wird?

Alles in allem würde ich gerne eine Version Amerikas sehen, bei der Rassismus oder Vorurteile wirklich, wirklich schwer zu finden sind. Ich habe vergessen, das vorhin zu erwähnen, aber viele Menschen haben immer noch etwas gegen Homosexualität. Ich kann also nur hoffen, dass wir in der Zukunft super offen und entgegenkommend für diese Leute sind und so wenig Vorurteile wie möglich haben.

Leonard Strohwald