Ahrtal Hochwasser am 14./15. Juli 2021

18.01.2022

Die schlimmste Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg, so wird das Ahrtal-Hochwasser genannt. 134 Tote, unvorstellbarer finanzieller Schaden und endlos viele Tonnen Schlamm sind erst der Anfang einer langen, komplizierten und tragischen Geschichte. Doch was ist dort im Sommer eigentlich genau passiert? Im Rahmen einer Hilfsaktion der Pfadfinder war ich in den Sommerferien als freiwilliger Helfer nach der Flut im Katastrophengebiet unterwegs. Hier ein Überblick über die Ereignisse, gemischt mit meinem Erfahrungsbericht vom Einsatz.

Die Hochwasser-Katastrophe war deutschlandweit, besonders betroffen waren jedoch Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Sehr schlimm traf es den Kreis Ahrweiler.

Was ist passiert?

Normalerweise ist die Ahr ein kleiner Fluss mit einem Pegel von weit unter einem Meter, doch am 14. Juli steigt dieser rasant. Der Deutsche Wetterdienst warnt vor „extremem Unwetter“. Am Morgen wird die zweithöchste Alarmstufe vom rheinland-pfälzischen Landesumweltamt ausgerufen. Es regnet, der Pegel steigt und steigt mit zunehmender Geschwindigkeit, bald kann man ihn von Minute zu Minute unterscheiden. Über den Nachmittag wird die Lage immer ernster. Die Bevölkerung versteht, dass eine Katastrophe bevorsteht. Das Wasser der Ahr beginnt über Straßen, in Vorgärten und Häuser zu schwappen. Um 20.45 Uhr beträgt der Wasserstand 5,75 Meter, die Leute fliehen aus ihren Häusern.

Sowohl das Landesumweltamt als auch die Kreisverwaltung Ahrweiler rufen im Verlauf des Tages immer höhere Alarmstufen aus. Sie versuchen, die Bevölkerung über die „Katwarn-App“ und später über Sirenen zu warnen. Später wird uns gesagt, man hätte nichts von den Warnungen mitbekommen beziehungsweise zuerst nicht gewusst, was die Sirenen zu bedeuten haben. Erst spät in der Nacht wird der Katastrophenalarm von der Kreisverwaltung ausgerufen, der Pegel wird jetzt auf über sieben Meter geschätzt. Einsatzkräfte, Bundeswehr sowie Bundespolizei versuchen das inzwischen eingetretene Chaos zu bekämpfen. In diesen Stunden sterben viele Menschen, oft in ihren eigenen Häusern. Brücken werden vom Wasser weggerissen, Gleise zerstört, Straßen verschwinden und durch Ortschaften bewegen sich Unmengen an Wasser und Schlamm sowie Baumstämme, Autos und weggespülte Häuserteile.

In der Nacht hört es schließlich auf zu regnen und das Wasser fließt über den 15. Juli wieder ab. Jetzt ist das Ausmaß sichtbar. Man kann es wahrscheinlich am einfachsten mit dem Wort „Chaos“ beschreiben: Überall ist Schlamm, Häuser sind entweder kaputt oder ganz weg und die Infrastruktur mit Straßen, Gleisen und Strom ist oft nicht vorhanden. Insgesamt gibt es 134 Tote, 2 Vermisste und 766 Verletzte (Stand 07.01.2022). Viele sind traumatisiert, zum Beispiel weil sie mit ihrem Besitz ihre Lebensgrundlage verloren haben oder Familienangehörige gestorben sind.

Nach der Flut

Nach diesem gewaltigen Schock beginnen die Leute in den ersten Tagen nach der Flut mit Aufräumarbeiten. Das heißt: Schlamm wird weggebracht, das Chaos in Wohnungen und auf Straßen beseitigt und mit handwerklichen Arbeiten in Häusern angefangen. In der sechsten Woche nach der Flut bin ich schließlich für vier Tage mit einigen anderen als freiwilliger Helfer im Ahrtal unterwegs. Wir sind vor allem in Walporzheim, einem Ort direkt neben Ahrweiler. Als wir eintreffen, ist von der Katastrophe noch viel zu erkennen.

Zuerst sehen wir das Offensichtliche: Nicht alle Wege sind freigegeben, es liegt immer noch Dreck auf den Straßen und die meisten Häuser sehen ungefähr so aus als wären sie in der Rohbauphase, nur in dreckig. Ihre Bewohner sind auf den Straßen unterwegs, die Sonne scheint und überall ist der Lärm von Stemmhämmern zu hören, die benutzt werden, um Putz von der Wand zu brechen. Das machen wir in einem Wirtshaus im Dorfzentrum auch, außerdem helfen wir jede Menge Schlamm aus Zimmern und Kellern zu schaufeln. Man kann es sich vielleicht etwas wie eine riesige Baustelle vorstellen.

Hier und da sieht man Fahrzeuge des Technischen Hilfswerks (THW) sowie der Bundeswehr. Die vielen anderen Fahrzeuge sind oftmals große Gefährte mit Hänger, die Schutt zu Sammelstellen bringen. Auch in Walporzheim gibt es eine: Sie ist riesig, eigentlich eine gigantische Müllhalde. Über viele hundert Meter liegen vor allem Schutt, aber auch Metallstücke, Kabel, Möbel und Drähte entlang der Ahr, die wieder ein unschuldig anmutender, relativ kleiner Fluss geworden ist. Nicht so gigantisch, aber trotzdem wichtig ist das Helferzelt in der Ortsmitte. Dort gibt es neben Kleidung, Arbeitsmaterial und Sanitäranlagen auch kostenloses Essen für alle.

Die Stimmung dort im Zelt und auch auf den Straßen ist eher optimistisch als angespannt. Von der Einstellung her liegt der Fokus nicht auf dem, was passiert ist, sondern auf der Arbeit, die kommt. Zwar ist man alles andere als glücklich, aber ich habe trotzdem den Eindruck, als würden die Leute sich kaum von der Flutkatastrophe runterziehen lassen oder nicht runterziehen lassen wollen. Was zählt, ist, dass es voran geht mit dem Wiederaufbau, dementsprechend herrscht Arbeitsstimmung in der ganzen Region. Auf dieser riesigen Baustelle ist es auch nichts Schlimmes, wenn auch mal Minderjährige einen Radlader durchs Dorf fahren – Hauptsache, es geht voran. Außerdem muss man sich nicht allein oder hilflos fühlen, weil man weiß, dass das Hochwasser alle betrifft. Häufig sehen wir Plakate oder Autos mit Schriftzügen wie: „We Ahr Family“, was beispielhaft ist für die Solidarität und dieses Gemeinschaftsgefühl, das selbst ich als Fremder erlebe.

Eine Sache, die zum Beispiel das Ehepaar vom Wirtshaus, das ich weiter oben erwähnt habe, wütend macht, ist jedoch diese: Aus ihrer Sicht hätte mehr Hilfe vom Staat in den ersten Tagen nach der Flut kommen müssen. Damals wäre viel privat organisiert worden. Zum Beispiel wird uns gesagt, dass es das erwähnte Helferzelt vor allem wegen dem Bauern Markus Wipperfürth gibt. Dieser hat wohl seinen Traktor zu Aufräumarbeiten bereitgestellt sowie viel Arbeit in der Region in den ersten Tagen nach dem Hochwasser koordiniert. Im Internet gibt es Petitionen für eine Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an ihn. Ein anderes, großes Baustoffzelt mit allen erdenklichen Waren in Walporzheim sei außerdem eine komplett private Spende.

Was das Ehepaar jedoch erstaunt habe, sei, dass so viele Helfer kommen. Sowohl viele private Helfer als auch Organisationen – vor allem kirchliche – packen bei vielem mit an. Dafür seien sie sehr dankbar, was sich auch allgemein in vielen Dankesplakaten äußert.

Wie geht es weiter?

Zurzeit meldet die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Rheinland-Pfalz, dass die provisorische Stromversorgung weitestgehend wiederhergestellt ist, meist mit Aggregaten. Die Wasserversorgung funktioniere auch, außerdem werde Nahrung über Katastrophenschutzeinheiten sowie private Caterer geliefert. Auf politischer Ebene ist auch einiges passiert: Der Landrat der Kreisverwaltung Ahrweiler Pföhler ist zurückgetreten, weil er dafür verantwortlich gemacht wird, dass die Bürger schlecht gewarnt wurden. Außerdem wurde ein Untersuchungsausschuss im Landtag von Rheinland-Pfalz eingerichtet und die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt unter anderem gegen Pföhler.

Der Aufbau wird sich vermutlich noch einige Jahre hinziehen, wenn man bedenkt, dass nicht nur Häuser beschädigt, sondern sogar ganz weggespült wurden. Die Flut hat auf Missstände beim Katastrophenschutz aufmerksam gemacht und ist ein Aufruf an den Staat, ihn zu verbessern. Denn 134 Menschen hätten nicht sterben müssen, wäre man in den Tagen vor der Flut – es wurde ja gewarnt – deutlich stärkere Schritte gegangen. Ich finde außerdem, dass man der Katastrophe mehr mediale Aufmerksamkeit hätte schenken müssen, schließlich ist sie vielen bestimmt nicht länger als ein paar Tage im Kopf geblieben. Sicher ist, dass sich die Flutkatastrophe ins Langzeitgedächtnis der Bewohner eingebrannt hat. Sie wird die ganze Region nachhaltig verändern und noch lange sichtbare Spuren hinterlassen.

Leonard Strohwald